Robert Reinick

Vom schlafenden Apfel

Im Baum, im grünen Bettchen
Hoch oben sich ein Apfel wiegt,
Der hat so rothe Bäckchen,
Man sieht's, daß er im Schlafe liegt.

Ein Kind steht unter'm Baume,
Das schaut und schaut und ruft hinauf:
»Ach, Apfel, komm herunter!
Hör' endlich doch mit Schlafen auf.«

Es hat ihn so gebeten,
Glaubt Ihr, er wäre aufgewacht?
Er rührt sich nicht im Bette,
Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht.

Da kommt die liebe Sonne
Am Himmel hoch daher spaziert. –
»Ach Sonne, liebe Sonne!
Mach' du, daß sich der Apfel rührt!«

Die Sonne spricht: »Warum nicht?«
Und wirft ihm Strahlen in's Gesicht,
Küßt ihn dazu so freundlich,
Der Apfel aber rührt sich nicht.

Nu schau! Da kommt ein Vogel
Und setzt sich auf den Baum hinauf.
»Ei, Vogel, du mußt singen,
Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!«

Der Vogel wetzt den Schnabel,
Und singt ein Lied so wundernett.
Und singt aus voller Kehle, –
Der Apfel rührt sich nicht im Bett! – –

Und wer kam nun gegangen?
Es war der Wind! Den kenn' ich schon,
Der küßt nicht und der singt nicht,
Der pfeift aus einem andern Ton.

Er stemmt in beide Seiten
Die Arme, bläst die Backen auf
Und bläst und bläst, und richtig,
Der Apfel wacht erschrocken auf,

Und springt vom Baum herunter
Grad' in die Schürze von dem Kind,
Das hebt ihn auf und freut sich
Und ruft: »Ich danke schön, Herr Wind!«

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