Christian Schmitt

Die Wellenbraut

Die Flut erbraust, es stöhnt der Wind;
Am Strande steht ein einsam Kind;
Es starrt hinaus ins wilde Meer,
Die dunkeln Augen thränenschwer.

»Zerronnen ist mein letztes Glück,
Mir kehrt kein Frühling mehr zurück.
Die mich beschirmt in Angst und Not,
Sie liegen alle längst schon tot.

Den ich geliebt so treu und warm,
Der schlummert in der Nixen Arm.
Das Grab allein ist mein Begehr;
Mein Glück ist hin, mein Herz ist leer.« –

Das Wasser stöhnt, der Sturmwind saust,
Und näher stets die Brandung braust;
Durchs Dunkel krächzt der Möven Chor,
Die Wellen schäumen hoch empor.

Ein Blitzstrahl reißt die Nacht entzwei.
Vom Strand ertönt ein banger Schrei.
Die Woge zischt, der Donner hallt; –
Ein treues Herz ist stumm und kalt.

Verklungen ist der Wettersturm;
Die Morgenglocke klingt vom Turm.
Still ist's im weiten Kreis umher,
Und ruhig liegt das weite Meer.

Doch drunten in der Tiefe ruht
Ein liebend Paar in treuer Hut;
Verklärend lacht der Sonnenschein
Ins feuchte Wellengrab hinein.

Die einst verlassen sich gemeint,
Dort hat sie mild der Tod vereint;
Sie schlafen frei von Leid und Harm
und träumen in der Nixen Arm.

Quelle:
Conrad Ziegler „Dichter im deutschen Schulhause“, Bielefeld 1892

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