Karl Simrock

Der Rattenfänger

Zu Hameln fechten Mäus' und Ratzen
Am hellen Tage mit den Katzen;
Der Hungertod ist vor der Tür:
Was tut der weise Rat dafür?
Im ganzen Land
Macht er's bekannt:
Wer von den Räubern
Die Stadt kann säubern,
Des Bürgermeisters Töchterlein,
Die soll zum Lohn sein eigen sein.

Am dritten Tage hört man's klingen,
Wie wenn im Lenz die Schwalben singen.
Der Rattenfänger zieht heran:
O seht den bunten Jägersmann!
Er blickt so wild
Und singt so mild:
Die Ratten laufen
Ihm zu in Haufen;
Er lockt sie nach mit Wunderschall,
Ertränkt sie in der Weser all.

Die Bürger nach den Kirchen wallen,
Zum Dankgebet die Glocken schallen:
Des Bürgermeisters Töchterlein
Muß nun des Rattenfängers sein.
Der Vater spricht:
»Ich duld' es nicht!
So hoher Ehren
Mag ich entbehren:
Mit Sang und Flötenspiel gewinnt
Man keines Bürgermeisters Kind.«

In seinem bunten Jägerstaate
Erscheint der Spielmann vor dem Rate:
Sie sprechen all' aus einem Ton
Und weigern den bedungnen Lohn:
»Das Mägdelein?
Es kann nicht sein.
Herr Rattenfänger,
Müht Euch nicht länger!
Eu'r Flötenspiel ist eitel Dunst
Und kam wohl von des Satans Kunst.«

Am andern Morgen hört man's klingen,
Wie wenn die Nachtigallen singen,
Ein Flöten und ein Liedersang
So süß vertraut, so liebebang.
Da zieht heran
Der Jägersmann,
Der Rattenfänger:,
Der Wundersänger,
Und Kinder, Knaben, Mägdelein,
In hellen Scharen hinterdrein.

Und hold und holder hört man's klingen,
Wie wenn die lieben Englein singen,
Und vor des Bürgermeisters Tür,
Da tritt sein einzig Kind herfür.
Das Mägdelein
Muß in den Reihn;
Die Mäuschen laufen
Ihm zu in Haufen:
Er lockt sie nach mit Wunderschall
Und nach der Weser zogen all.

Die Eltern liefen nach den Toren,
Doch jede Spur war schon verloren:
Kein Eckart hatte sie gewarnt,
Des Jägers Netz hält sie umgarnt.
Zwei kehrten um,
Eins blind, eins stumm:
Aus ihrem Munde
Kommt keine Kunde.
Da hob der Mütter Jammern an:
So rächte sich der Wundermann.

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