Heinrich Seidel: Glockenspiel

II. NACHDENKLICHES UND BESCHAULICHES


LORBEER UND EPHEU

Der nach dem Lorbeer lebenslang gerungen,
Er starb dahin, bevor es ihm gelungen,
Vergebens war sein heissestes Bemühn.
Ein bald vergessnes Grab in stiller Ecke,
Ein Eisenkreuz und eine Rasendecke,
Und drüberhin der Epheu still und grün.

Der Epheu steigt, das Eisen zu umspinnen
Und klettert auf, die Höhe zu gewinnen
So unablässig wie einst jener Mann,
Der seine Träume in die Lüfte baute
Und nie die liebliche Erfüllung schaute,
Vergeblich strebte, dichtete und sann.

Der Epheu wächst, nicht weiter kann er steigen
Er tastet in die Luft mit seinen Zweigen,
Und in die Runde geht er hoch und breit
Wie eines Lorbeerbaumes stolze Krone,
So wölbt er sich dem, der da ruht, zum Lohne –
Ach, nur ein Lorbeer der Vergessenheit!

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