Heinrich Seidel: Neues Glockenspiel

I. VERMISCHTE GEDICHTE.


TRISTAN UND ISOLDE

König Marke, wie die Sage meldet,
Liess begraben Tristan und Isolden
Zu den beiden Seiten eines Kirchleins,
Noch im Tod die Liebenden zu trennen.
Doch aus Tristans Hügel schoss ein Weinstock,
Rosen wuchsen aus Isoldens Grabe,
Strebten eilig aufwärts an den Mauern,
Trieben mächt'ge sehnsuchtsvolle Ranken,
Spannen sich empor des Daches Flächen,
Und – ein Wunder war's nach wenig Jahren
Rankten hoch am First schon ineinander
Unzertrennbar Rosenbusch und Rebe.
Rosen blühten leuchtend nun im Weinlaub,
Trauben hingen in den Rosenzweigen!

Dieses holde Wunder zu beschauen,
Pilgerten herbei aus weitem Umkreis
Gern die zärtlich hold verliebten Paare,
Und nachdem voll Andacht sie gestaunet,
Schauten sie sich leuchtend in die Augen,
Ihre Hände rankten ineinander,
Und sie küssten sich und sprachen gläubig:
»Stärker als der Tod ist treue Liebe!«

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