Ein Reise-Abenteuer.
Ein Gastfreund weilt' ich einst in liebem Kreise,
Wo meines langentbehrten Vaterhauses
Vertraute Sitte mir entgegenkam;
Wo mir dem Fremdling, der von ungefähr,
Fusswandernd durch's Gebirg, dorthin verschlagen,
Ein hold Willkommen ward bei lieben Menschen.
Es war ein Abend, sonnig, still und klar;
Und rings am Tische unter duft'ger Linde,
Da sassen wir, des goldnen Abends froh.
In leichten Wolken schwebte um den Baum
Der Mücken wimmelnd Volk mit leisem Summen.
Zuweilen drang vom fernen Dorf herüber
Ein Hundebellen oder Sensendengeln,
Gesang und Lachen, Feierabendklänge,
Gedämpften Schalles durch den Abendduft
Umher die Kinder – froh in Busch und Hecken –
Versteckten sich und haschten sich mit Jubel.
Doch jezuweilen stahl ein Blick zum Tisch sich,
Zum bärt'gen Fremdling – öfter noch zur Mutter:
Ob sie nicht bald zum Tische freundlich winke,
Austheilend weisen Masses Brod und Früchte.
Wir sassen so in traulichem Geplauder,
Gedenkend froh der eignen Kinderzeit,
Und dann – wie sich Gespräche manchmal fügen –
So mancher Sage, die der Volksmund kündet;
Wie sie an einen Fels, an einen Quell,
Ein dornumranktes altes Hünengrab
Aus märchengrauer Zeit Erinnrung knüpft;
Ja, wie noch jetzt das sagenliebe Volk
Mit so geheimnissvollen Schauerreizen
Des Zufalls Walten zu umkleiden liebt. –
Da zeigte denn, wo nah in Busch und Baum,
Von alten Uferweiden überhangen,
Ein See im Abendsonnenglanze ruhte,
Der alte Hausherr auf den klaren Spiegel.
»Das Wasser,« sprach er, »ist der Weidensee,
Der fordert sich ein Opfer jedes Jahr.
So sagt das Landvolk, und ein Jeder glaubt es.
Im vor'gen Sommer – kaum verging ein Jahr-
Da zog man einen Greis aus seiner Fluth,
Der von des steilen Ufers losem Rand
Hinab geglitten war beim Fische-Angeln.
Und weiter spinnt die Sage, dass im Jahr
Darauf ein junges Opfer sei verfallen.
So manche Mutter hütet drum ihr Kind
Und hält es fern von seinen blum'gen Ufern.«
Fast ängstlich schaut die Hausfrau jetzt hinaus
Das Auge schattend vor der Sonne Blendung. –
Da plötzlich zuckt ihr die erhob'ne Hand, –
Ein Todesschrecken auf erblasster Wange.
Wir, schnell der Richtung folgend ihres Blicks,
Wir sehen schaudernd dort: – in heller Luft
Sich schaukelnd auf dem schwanken Weidenast,'
Der weit sich neigte über jenen See,
Das jüngste Kind, ein lieblich holdes Mädchen!
»Hedwig!« – So ruft die Mutter, in der Angst
Besinnungslos, die Klugheit nicht bewahrend.
Das Kind erschrickt – es wendet sich – es taumelt –
Greift in die Luft – ein Schrei und lautes Plätschern.
»Des Sees Opfer!« schreit der Alte ahnend.
Fort stürzen wir, von Sorg' und Angst beflügelt.
Ich eilte schnell voran, und in die Fluth
Mich werfend, wo der Kleider lichter Schein
Durch's Wasser schimmerte, erfasst' ich glücklich
Des Röckchens Saum und ruderte empor
Und schwamm zum Ufer mit der zarten Last.
Voll Angst und Zittern standen Eltern – Kinder.
Die Mutter riss den Liebling mir vom Arm
Mit todesbleichem Antlitz – ängstlich lauschend,
Ob es noch athme, – athemlose Spannung. –
Da hebt sich sanft die kleine Brust und langsam
Schlägt es die Augen auf und schliesst sie wieder.
Und stürmisch brach der Jubel aus; doch mich
Erstickte fast das Küssen und Umarmen. –
***
Am andern Morgen – heimlich in der Frühe –
Nahm Tasche ich und Stab und schlich mich fort
Und zog von dannen, weiter in die Welt.
Dort lag der blaue See im Morgenduft
Gar klar und freundlich. – In der hohen Luft
Im Blau verloren schmettert' eine Lerche
Und sang und jubelte und jubelte.
Am Ufer aber hob und senkte sich,
Der leichten Wellen Spiel, ein Sommerhütchen –
Und zur Erinnrung löste ich von ihm
Das blaue Band – und lustig mir am Hut
Im Winde flog es, als ich zog von dannen.
Gedichtinterpretationen
-
Gedichtanalysen
audible-Hörbücher KOSTENLOS testen