Hermann Allmers

Bin ich in später Nacht allein ...

Bin ich in später Nacht allein,
Wenn alles ruht, wenn alles schweigt,
O wie sich dann mein ganzes Sein
Zu dir mit Macht hinüber neigt!
Und wieder kommt dein liebes Bild
Hold lächelnd wie in jenen Tagen,
Und nickt mir zu, als spräch es mild:
»Mein armer Junge, laß dein Klagen!
Noch bist du mein, noch bin ich dein,
Schütt aus dein Herz an meinem Herzen,
Vergessen wirst du alle Pein
Und alle noch so herben Schmerzen.« –
Einst hast du oft dies Wort gesagt,
Mich dann gestreichelt und umschlungen,
Wenn ich in trüber Zeit geklagt,
Wenn ich mit Sorgen bang gerungen.
Nun bist du fort, nun bist du fern,
Wie hat sich alles nun gewendet,
Doch immer bist du noch ein Stern,
Der seine schönen Strahlen sendet,
Denn immer kommt dein liebes Bild,
Hold lächelnd wie in jenen Tagen,
Und nickt mir zu, als spräch es mild:
»Mein armer Junge, laß dein Klagen!«

Quelle:
„Vom Reichtum der deutschen Seele – Ein Hausbuch deutscher Lyrik“
hrsg. v. Georg Virnsberg, verlegt bei Dollheimer, Leipzig, 1928

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