Adolf Boettger

Nach Jahren

Die Mutter lehnt am schattigen Tor,
Ihr blondes Töchterchen kniete davor,
Brach Rosen sich und Vergißmeinnicht,
Und küßt sie mit lachendem Angesicht:

»Ei! Mutter, bin ich so groß wie du,
Dann trag ich dir alles im Hause zu,
Dann heg und pfleg ich dich lieb und fein
Wie die Rosen und die Vergißnichtmein.«

Und Jahre schwanden, – am schattigen Tor
Ragt höher und voller der Flieder empor!
Ein Mägdlein umfaßt des Geliebten Arm,
Es schlagen ihre Herzen so treu und warm.

Doch wie sie sich küßten auf Wang und Mund,
Weinte das Mädchen aus Herzensgrund:
Denn die sie wollt pflegen so lieb und fein,
Lag still unter Ros und Vergißnichtmein.

Quelle:
„Vom Reichtum der deutschen Seele – Ein Hausbuch deutscher Lyrik“
hrsg. v. Georg Virnsberg, verlegt bei Dollheimer, Leipzig, 1928

Seitenanfang / top

Tweet


amazon  Muttertagsgedichte -
Gedichtinterpretationen - Gedichtanalysen
audible-Hörbücher KOSTENLOS testen


Impressum - Datenschutz