Emanuel Geibel
Wie reinigst du die Seele mir vom Staube,
Du blauer, goldbeschwingter Frühlingstag!
Es prangt die Welt im frischverjüngten Laube,
Die Pfade blühn, wohin ich schreiten mag;
Und sehnlich schallt der Ruf der wilden Taube
Und lockt mich tief und tiefer in den Hag,
Bis um mich her, wo keine Spur mehr leitet,
Waldeinsamkeit die grünen Schleier breitet.
O welch ein Duft hier, welch ein stilles Sprossen!
Das Veilchen grüßt, die Blüte springt am Strauch;
Von fernen Türmen kommt Geläut geflossen
Und mischt sich in der Schöpfung Opferrauch,
Und im gelinden Säuseln ausgegossen
Empfind' und atm' ich reinsten Lebenshauch;
Ich fühl's, ich hab' ein Heiligtum betreten,
Und all mein Wesen wird ein wortlos Beten.
Da spielt vom Geist, der einst in Feuerzungen
Herabfuhr, auch um meine Stirn ein Wehn;
Voll Ehrfurcht lern' ich, was mir fremd geklungen,
Als zeitlich Kleid des Ewigen verstehn!
Gedank' und Andacht sind in eins verschlungen
Wie Farben, die im reinen Licht vergehn,
Und meiner Brust ist jener Gottesfrieden,
Der kein Bekenntnis hat noch braucht, beschieden.
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