Ludwig Giesebrecht
Strophe 5 findet sich gelegentlich unter dem Titel „Der Lotse“
Siehst du die Krone auf den Sparren?
Bald wird mein Häuslein fertig sein,
Und ehe Wald und Bach erstarren,
Zieh' ich in meine Wohnung ein.
Da unter ihr die Meereswogen,
Von aller Völker Schiffen bunt,
Und dorther kommt der Strom gezogen
Zur Westsee aus dem Öresund.
So liegt, wenn ich in Frieden raste,
Vor meinem Auge noch das Feld,
Das mir, dem unruhevollen Gaste,
Die vor'ge Zeit entgegenhält.
Denn ich bin lang zur See gefahren,
Und ohne Heimat, da und hier,
Sah ich in mehr als dreißig Jahren
Nur fremde Flaggen über mir.
Nun will ich erst als Normann hausen,
Zu lieber Erde heimgekehrt,
Genießend, was in Sturmes Brausen
Die Fremde meinem Fleiß gewährt.
Seitdem das Hoffen und Erwarten
Mit meinem Bau zu Ende ging,
Dünkt mir im Hause und im Garten
Doch meine Arbeit gar gering.
Zu jung, um müßig drein zu schauen,
Zu alt für Sturm und Meeresnot,
Laß ich zum andern Male bauen
Ein schwimmend Haus, ein Segelboot.
Das ist gemacht für Norwegens Küste,
Genau gefügt, von festem Holz.
Es bleibt dem Seemann sein Gelüste,
Es bleibt ihm auch der alte Stolz.
Ja, wer es kauft, der soll es loben,
Wer mit dem Boot zum Meere geht,
Wenn es dem Steuermann die Proben
Gelehrig und gewandt besteht.
Doch, Schifflein, wer wird auf dir fahren?
Wohl gar der Schalk, der Unverstand?
O wär' ich noch in meinem Jahren,
Du kämst in keine fremde Hand.
Um unsre Schären, unsre Riffe
Wie das Gewoge schäumend wallt!
Wie ringt im Sturm der Zug der Schiffe!
Ein Notschuß nach dem andern hallt!
Und durch die wilden Wasser drängen
Die rot und weißen Segel fort,
Sie leiten zwischen Klippenhängen
Die Schiffe in den sichern Port:
Das sind die Lotsen dieses Strandes,
Die Helfer in des Sturmes Wut,
Das sind die Kühnsten ihres Standes,
Das ist norwegisch Heldenblut.
Und ich, aus gleichem Blut entsprungen,
Fuhr ich umsonst von Meer zu Meer?
Ist das nur Arbeit für die Jungen
Und dem versuchten Mann zu schwer?
Ich weiß, mein Boot, wem du bereitet,
Nun stell' ich keinem dich zu Kauf;
Sobald dein Kiel in's Wasser gleitet,
Hiss' ich das Lotsensegel auf.
Mein Haus auf hohem Uferrande
Und hier mein Boot in meiner Hut:
Ich bin daheim im Norweglande,
Ich bin daheim auf Norwegs Flut.
Von Lotsensegeln rings umflossen,
Den Blumen, die der See entkeimt:
Ich bin bei Freunden, bei Genossen,
Bin Norwegs Männern eingeheimt.
Noch ist es still, die Schiffe gleiten
Gemach zum Lindesnäß hinaus;
Doch Wetter drohn – die Lotsen breiten
Sich an der Schärenküste aus.
Ihr fremden Gäste fahrt geborgen
Hinab an Norwegs Felsenstrand,
Wir, Norwegs Männer, hüten, sorgen,
Wir, allen Menschen anverwandt. –
Nun jagt der Sturm. Es ist die Stäte,
Die Wolken rollen wild heran.
Still, Alter, neige dich und bete!
Nun geht die Lotsenarbeit an.
Siehst du die Brigg dort auf den Wellen?
Sie steuert falsch, sie treibt herein
Und muß am Vorgebirg zerschellen,
Lenkt sie nicht augenblicklich ein.
Ich muß hinaus, daß ich sie leite! –
Gehst du ins offne Wasser vor,
So legt dein Boot sich auf die Seite
Und richtet nimmer sich empor. –
Allein ich sinke nicht vergebens,
Wenn sie mein letzter Ruf belehrt:
Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens
Ist wohl ein altes Leben wert.
Gib mir das Sprachrohr! Schifflein, eile!
Es ist die letzte, höchste Not. –
Vor fliegendem Sturme, gleich dem Pfeile,
Hin durch die Schären eilt das Boot;
Jetzt schießt es aus dem Klippenrande.
Links müßt ihr steuern! hallt ein Schrei.
Kieloben treibt das Boot zu Lande,
Und sicher fährt die Brigg vorbei.
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