Andreas Gryphius

Beschluss des Jahres

Je mehr wir Jahre zählen,
Je mehr uns Tage fehlen,
Je mehr uns Zeit abgeht,
Dies Leben selbst verschwindet,
Weil sich das Alter findet
Und seine Maaß erhöht.

Wie uns die Jahr entfallen,
Weil wir auf Erden wallen,
Wie sich das Ziel abkürzt,
So wird mit ihm verloren,
Was in der Zeit geboren,
Die alles fällt und stürzt.

In dem ein Jahr vergangen,
Hat eines angefangen;
Den Anfang führt das End.
Vor stieg die Sonne nieder;
Itzt kommt ihr Wagen wieder,
Der schon was höher rennt.

So, ob wir hier veralten,
Ob Händ und Herz erkalten,
Gehn wir doch gar nicht ein.
So viel wir abgenommen,
So nahe sind wir kommen
Der Wollust oder Pein.

Ach Menschen, diese Jahre
Die führen nach der Bahre
Und nach der Bahr zur Kron;
Sie führen zu dem Throne,
Dem ewig hohen Lohne;
Wo nicht, zu stetem Hohn.

Unendlich ewig Wesen,
Durch dessen Tod genesen,
Was Zeit und Jahre zählt,
Ach laß unendlich leben,
Für die du dich gegeben
Und zu der Braut erwählt!

Soll sie die Zeit bewähren,
So laß sie nicht beschweren
Mit dem, was zeitlich ist.
Gib ewige Gedanken
Der, die in diesem Schranken
Zur Ewigkeit erkiest,

Daß, wenn sie abgeleget,
Was sie als sterblich träget,
Der rauhen Jahre Last,
Sich zu dir mög erheben,
Der du, ein Mensch im Leben,
Jahr auch gezählet hast.


hier ist noch eine Version in der Orthografie der Barockzeit:

Beschluß deß Jahres

1.

Je mehr wir Jahre zehlen:
Je mehr vns Tage fehlen/
Je mehr vns Zeit abgeht:
Diß Leben selbst verschwindet:
Weil sich das Alter findet.
Vnd seine Maß erhöht.

2.

Wie vns die Jahr entfallen
Weil wir auff Erden wallen/
Wie sich das Ziel abkürtzt:
So wird mit ihm verlohren/
Was in der Zeit geboren
Die alles fäll't vnd stürtzt.

3.

In dem ein Jahr vergangen:
Hat eines angefangen/
Den Anfang führt das End/
Vor stig die Sonne nieder:
Itzt kommt ihr Wagen wieder
Der schon was höher rennt.

4.

So/ ob wir hier veralten:
Ob Händ vnd Hertz erkalten/
Gehn wir doch gar nicht ein:
So viel wir abgenommen/
So nahe sind wir kommen
Der Wollust oder Pein.

5.

Ach Menschen/ diese Jahre
Die führen nach der Baare
Vnd noch der Baar zur Kron:
Sie führen zu dem Throne/
Dem ewig hohen Lohne
Wo nicht zu stetem Hohn.

6.

Vnendlich ewig Wesen:
Durch dessen Tod genesen/
Was Zeit vnd Jahre zehlt!
Ach laß vnendlich Leben
Für die du dich gegeben/
Vnd zu der Braut erwehlt!

7.

Sol sie die Zeit bewehren/
So laß sie nicht beschweren
Mit dem was zeitlich ist/
Gib ewige Gedancken:
Der; die in diesem Schrancken
Zur Ewigkeit erkist

8.

Daß wenn sie abgeleget/
Was sie als sterblich träget/[88]
Der rauen Jahre Last.
Sich zu dir mög' erheben
Der du ein Mensch im Leben/
Jahr' auch gezehlet hast.

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