Johann Christian Günther

Lebensgenuss

Brüder, lasst uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret;
Grab und Bahre warten nicht,
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Rasch entstürmt der Jahre Flucht
Mit verhängtem Zügel,
Und des Schicksals Eifersucht
Leiht dem Lenze Flügel.
Brüder! trinkt, noch ist es Zeit,
Eh' der Herbstwind Blätter streut
Auf uns'res Grabes Hügel.

Wo sind jene, sagt es mir,
Die vor wenig Jahren,
Eben also, gleich wie wir,
Jung und fröhlich waren?
Ihre Leiber deckt der Sand,
Sie sind in ein fremdes Land
Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,
Mag den Kirchhof fragen:
Ihr Gebein, das längst vermorscht,
Wird ihm Antwort sagen.
Uns auch, Brüder, kann man bald,
Eh' die Morgenglocke schallt,
In uns're Gräber tragen.

Darum lasst uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret:
Grab und Bahre warten nicht;
Wer die Rosen heute bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

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