Friedrich Hebbel
Schwül wird diese Nacht. Am Himmelsbogen
Ziehn die Wolken dichter sich zusammen,
Breit beglänzt von Wetterleuchtens Flammen
Und von roten Blitzen scharf durchzogen.
Alles Leben ist in sich verschlossen,
Kaum nur, daß ich mühsam Atem hole;
Selbst im Beete dort die Nachtviole
Hat den süßen Duft noch nicht ergossen.
Jedes Auge wär schon zugefallen,
Doch die Herzen sind voll Angst und zittern
Vor den zwei sich kreuzenden Gewittern,
Deren Donnergrüße bald erschallen.
Jene Alte schleppt sich zur Kapelle,
Doch sie wird den Heilgen nicht erblicken,
Eh die Wolken ihre Blitze schicken,
Betend kauert sie sich auf der Schwelle.
Ist das nicht des Liebchens taube Muhme?
Ja! So will ich hier nicht länger weilen,
Will zu ihr, zu ihrem Fenster eilen,
Und dort lauschen, statt am Heiligtume.
Weiß ichs denn? Kann nicht ein Blitz da zünden?
Kann ich, wenn ich aus der Glut sie rette,
Nicht – o daß er schon gezündet hätte! –
Ihr mein süß Geheimnis endlich künden?
Sieh, da bin ich schon! Beim Lampenlichte
Sitzt sie, in die weiße Hand das Köpfchen
Stützend, mit noch aufgeflochtnen Zöpfchen,
Stillen Schmerz im blassen Angesichte.
Horch, der erste Donnerschlag! Es krachen
Tür und Tor! Sie scheint es nicht zu hören!
Wessen denkt sie? Wüßt ichs, würd ich schwören:
Heut noch will ich den Garaus ihm machen.
Sie erhebt sich. Willst du dich entkleiden?
Gute Nacht! Warum? Zur rechten Stunde
Löscht sie selbst das Licht, und gibt dir Kunde:
Mehr ist nicht erlaubt! Dann magst du scheiden!
Was? Sie knüpft ein Tuch um ihre Locken?
Hüllt sich in der Muhme alten Mantel?
Ist sie – Oder stach mich die Tarantel?
Wird sie – Die Besinnung will mir stocken!
Ja, schon knarrt die Tür. Da kommt sie. Nimmer
Würd ich selbst sie, so vermummt, erkennen,
Hätt ich nicht – Die Lampe läßt man brennen,
Daß es scheint, man sei im frommen Zimmer.
Rasch an mir vorbei! Sie ist, wie alle!
Folg ich ihr? Ja freilich! Um schauen,
Ob man ihr mit braunen oder blauen
Augen – schwarze hab ich selbst – gefalle.
Waldhorn-Klänge aus dem Jägerhäuschen!
Beim Gewitter? O, das ist ein Zeichen!
So ist das der Jüngling sondergleichen?
Wohl! Doch nächstens pflücken wir ein Sträußchen.
Und weshalb? Hat sie dir was versprochen?
Nein! Und dennoch muß ich sie verklagen,
Daß sie, ja, so darf, so darf ich sagen,
Einen stillen Bund mit mir gebrochen.
Weiter! Weiter? So vergib, Geliebte!
Doch wohin? Hier zieht der Wald sich düster,
Und dort wohnt die Alte an der Rüster,
Die in mancher dunklen Kunst geübte.
Gilt es der? Halt ein! Dein Herz muß klopfen!
Rastlos donnerts ja, zur Feuergarbe
Schwillt der Blitz, blutrot wird seine Farbe,
Und noch immer fällt kein milder Tropfen.
Fort! Und fort! Und unter falschen Bäumen,
Die der Blitz – Ihr näher! daß sie keiner
Treffen kann, der mich verschont, nicht einer!
Schritt auf Schritt ihr nach! Wer Würde säumen!
Ist sie nun am Ziel? Da ist die Hütte!
Ja, sie pocht. Man öffnet ihr. Ich spähe
Durch den Ritz. Wer weiß, was ihr geschähe,
Wenn ich nicht – Ein Kreis! Sie in der Mitte!
Wie sie da steht, fast zum Schnee erbleichend,
Und die Alte, in der Ecke kauernd,
Dreht ein Bild aus Wachs. Sie sieht es schauernd.
Jetzt spricht die zu ihr, das Bild ihr reichend:
Zieh dir nun die Nadel aus den Haaren,
Rufe den Geliebten, laut und deutlich,
Und durchstich dies Bild, dann wirst du bräutlich
Ihn umfangen und ihn dir bewahren.
Schweigt, ihr Donner! Praßle noch nicht, Regen,
Daß ich noch den einen Laut vernehme,
Ob er auch des Herzens Schlag mir lähme
Und der Pulse feuriges Bewegen!
Wie sie zögert! Wie sie mit Erröten
In die Locken greift und eine Nadel
Auszieht auf der Alten stummen Tadel
Und noch säumt, als gälte es, zu töten!
Endlich zückt sie die, und – meine Sinne
Reißen! – ruft – hinein! Zu ihren Füßen! –
Ruft mich selbst mit Worten, stammelnd-süßen,
Als den einen, den sie heimlich minne! –
Und dem Zagen kommt der Mut, behende
Weicht die Tür. Wer durfte sich erfrechen,
Ruft die Alte, und den Zauber brechen? –
Ohne Furcht! Hier kommt nur, der ihn ende!
Sie entweicht mit holden Scham-Gebärden;
Da umschließt er sie, und Glut und Sehnen
Löst bei beiden sich in linden Tränen,
Die der Mensch nur einmal weint auf Erden.
Und so stehn sie, wechseln keine Küsse,
Still gesättigt und in sich versunken,
Schon berauscht, bevor sie noch getrunken,
In der Ahnung dämmernder Genüsse.
Und auch draußen löst sich jetzt die Schwüle,
Die zerrißnen Wolken, regenschwanger,
Schütten ihn herab auf Hain und Anger,
Und hinein zur Hütte dringt die Kühle.
Als nun auch der Regen ausgewütet,
Wallen sie, die Alte gern verlassend,
Kinderfromm sich an den Händen fassend,
Wieder heim, von Engeln still behütet.
Als sie aber scheiden will, da ziehen
Glühendheiß die Nachtviolendüfte
An ihm hin im sanften Spiel der Lüfte,
Und nun küßt er sie noch im Entfliehen.
Liebesgedichte -
Gedichtinterpretationen
-
Gedichtanalysen
audible-Hörbücher KOSTENLOS testen