Friedrich Hebbel

Das Kind

Die Mutter lag im Totenschrein,
Zum letztenmal geschmückt;
Da spielt das kleine Kind herein,
Das staunend sie erblickt.

Die Blumenkron im blonden Haar
Gefällt ihm gar zu sehr,
Die Busenblumen, bunt und klar,
Zum Strauß gereiht, noch mehr.

Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
»Du liebe Mutter, gib
Mir eine Blum aus deinem Strauß,
Ich hab dich auch so lieb!«

Und als die Mutter es nicht tut,
Da denkt das Kind für sich:
Sie schläft, doch wenn sie ausgeruht,
So tut sies sicherlich.

Schleicht fort, so leis es immer kann,
Und schließt die Türe sacht
Und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
Ob Mutter noch nicht erwacht.

Quelle:
„Vom Reichtum der deutschen Seele – Ein Hausbuch deutscher Lyrik“
hrsg. v. Georg Virnsberg, verlegt bei Dollheimer, Leipzig, 1928

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