Heinrich Heine

Beine hat uns zwei gegeben ...

(Fragment, auch unter dem Titel: „Zur Teleologie“)

Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben,
wollte nicht, dass an der Scholle
unsre Menschheit kleben solle.
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
genügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
daß wir schauen rein und klar;
um zu glauben, was wir lesen,
wär ein Aug genug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide,
daß wir schauen und begaffen
wie er hübsch die Welt erschaffen
zu des Menschen Augenweide;
doch beim Gaffen in den Gassen
sollen wir die Augen brauchen
und uns dort nicht treten lassen
auf die armen Hühneraugen,
die uns ganz besonders plagen,
wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
dass wir doppelt Gutes spenden;
nicht um doppelt zuzugreifen
und die Beute aufzuhäufen
in den großen Eisentruhn,
wie gewisse Leute tun –
(ihren Namen auszusprechen
dürfen wir uns nicht erfrechen –
hängen würden wir sie gern,
doch sie sind so große Herrn,
Philanthropen, Ehrenmänner,
manche sind auch unsre Gönner,
und man macht aus deutschen Eichen
keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
weil wir zwei in einem Glase
nicht hineinzubringen wüßten,
und den Wein verschlappern müßten.

Gott gab uns nur einen Mund,
weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppelmäulig wär,
fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
muß er schweigen unterdessen,
hätt er aber Mäuler zwei,
löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
uns der Herr. Vorzüglich schön
ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
so er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
um von Mozart, Gluck und Hayden
Meisterstücke anzuhören –
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
und Hämorrhoidal-Musik
von dem großen Meyerbeer,
schon ein Ohr hinlänglich wär! –

Als zur blonden Teutolinde
ich in solcher Weise sprach,
seufzte sie und sagte: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
kritisieren unsern Schöpfer,
ach! das ist, als ob der Topf
klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, dass etwas dumm.
Freund ich hab dir zugehört,
und du hast mir gut erklärt,
wie zum weisesten Behuf
Gott den Menschen zweifach schuf
Augen, Ohren, Arm' und Bein',
während er ihm nur ein
Exemplar von Nas und Mund –
doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
warum schuf er einfach nur
das skabröse Requisit,
das der Mann gebraucht, damit
er fortpflanze seine Rasse
und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
wäre wahrlich hier vonnöten,
um Funktionen zu vertreten,
die so wichtig für den Staat
wie fürs Individuum,
kurz fürs ganze Publikum.
Zwei Funktionen, die so greulich
und so schimpflich und abscheulich
miteinander kontrastieren
und die Menschheit sehr blamieren.
Eine Jungfrau von Gemüt
muß sich schämen, wenn sie sieht,
wie ihr höchstes Ideal
wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amur der Finsternis,
er verwandelt sich beim Scheine
ihrer Lamp – in Mankepiß.

Also Teutolinde sprach,
und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
du verstehst nicht, liebes Kind,
Gottes Nützlichkeitssystem,
sein Ökonomie-Problem
ist, dass wechselnd die Maschinen
jeglichem Bedürfnis dienen,
dem profanen wie dem heilgen,
dem pikanten wie langweilgen, –
alles wird simplifiziert;
klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
damit schafft er seinesgleichen.
Auf demselben Dudelsack
spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
fiedelt auf derselben Bratsche.
Durch dieselben Dämpfe, Räder
springt und singt und gähnt ein jeder,
und derselbe Omnibus
fährt uns nach dem Tartarus.

aus: „Nachgelesene Gedichte 1845 - 1856“ - 1. Abteilung: Zeitgedichte

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