Arno Holz

Unvergessbare Sommersüße

Rote Dächer.
Aus den Schornsteinen,
hier und da,
Rauch;
oben, hoch, in sonniger Luft,
ab und zu,
Tauben.

Es ist Nachmittag.

Aus Mohdrickers Garten her
gackert
eine Henne.
Bruthitze brastet.
Die ganze Stadt riecht nach Kaffee.

Dass mir doch dies alles noch so lebendig geblieben ist!

Ich bin ein kleiner achtjähriger Junge,
liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf dem Bauch
und kucke durch die Bodenluke.

Unter mir, steil, der Hof
hinter mir, weggeworfen,
ein Buch.
Franz Hoffmann. „Die Sklavenjäger.“

Wie still das ist!

Nur drüben,
in Knorrs Regenrinne,
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
irgendwo ein Mann, der sägt,
und, dazwischen,
deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen regelmäßig hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.

Wenn ich unten runter sehe,
sehe ich gerade auf Mutters Blumenbrett.

Ein Topf Goldlack,
zwei Töpfe Levkojen, eine Geranie, Fuchsien
und mittendrin,
zierlich, in einem Zigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.

Wie das riecht!
Bis zu mir rauf!

Und die Farben!
Die Farben!

Jetzt!

Wie der Wind drüber weht!
Die wunder-,
wunder-, wunder-
schönen Farben!

Nie blinkten mir schönere!

Ein halbes Leben,
ein ganzes Menschenalter
verrann!

Ich schließe die Augen.

Ich sehe sie
noch immer!

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