Selma Meerbaum-Eisinger
Liegt das Eis so schwer und weiß
und es hindert jede Regung.
Ist der Fluss so still – ohne Bewegung,
möchte doch gern schäumen, wild und heiß.
Und es können keine Wellen rauschen,
können nicht dem Lied des Winters lauschen,
schlafen, eingekrümmt in tiefem Kummer,
einen bösen, schweren Winterschlummer.
Müde hängt die Sonne in der grauen Luft,
weiß und müde liegt der Schnee.
Alles tot und müd und ohne Duft,
und es weint ein eingeschneiter Baum vor Weh.
Zerrt der Fluss an seinen Fesseln, will kein Eis,
bäumt sich auf, verzweifelt, wild und heiß,
schäumte gerne noch verrückt ins Blau hinein,
ist noch viel zu feurig, um schon tot zu sein.
Eines Tages hört man einen Kuckuck
und die Sonne leuchtet plötzlich auf
und der Schnee verschwindet, Hauf nach Hauf,
und der Fluss, er macht den letzten Ruck,
bricht des Eises schwere, weiße Decke,
flutet strömend über sie hinaus,
sieht erfreut die noch ganz kahle Rosenhecke,
schäumt und braust und lacht die weißen Schollen aus.
Lacht und lacht und will sich gar nicht halten –
klingt und fließt und ist voll Übermut.
Scheint die Sonne doch so warm und gut,
brechen Frühlingsblumen aus in allen Bodenfalten,
und die kleinen Hecken sind schon dünn belaubt.
Schwemmt der Fluss die Ufer weg und wäscht die Erde,
grüßt erfreut die altbekannte, weiße Herde,
die zu schaun er nicht mehr hat geglaubt.
(1941)
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