Conrad Ferdinand Meyer
(Frühere Fassung, ~1869)
In jungen Jahren war's. Ich brachte dich
Zurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gast,
Durch das Gehölz. Der Nebel rieselte,
Du zogst des Reisekleids Kapuze vor
Und blicktest traulich mit verhüllter Stirn.
Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten sich
Dem feuchten Waldesboden deutlich ein,
Die wandernden. Du schrittest auf dem Bord,
Von deiner Reise sprechend. Eine noch,
Die längre, folge drauf, so sagtest du.
Dann scherzten wir, der nahen Trennung klug
Das Angesicht verhüllend, und du schiedst,
Dort wo der First sich über Ulmen hebt.
Ich ging denselben Pfad gemach zurück,
Leis schwelgend noch in deiner Lieblichkeit,
In deiner wilden Scheu, und wohlgemut
Vertrauend auf ein baldig Wiedersehn.
Vergnüglich schlendernd, sah ich auf dem Rain
Den Umriß deiner Sohlen deutlich noch
Dem feuchten Waldesboden eingeprägt,
Die kleinste Spur von dir, die flüchtigste,
Und doch dein Wesen: wandernd, reisehaft,
Schlank, rein, walddunkel, aber o wie süß!
Die Stapfen schritten jetzt entgegen dem
Zurück dieselbe Strecke Wandernden:
Aus deinen Stapfen hobst du dich empor
Vor meinem innern Auge. Deinen Wuchs
Erblickt' ich mit des Busens zartem Bug.
Vorüber gingst du, eine Traumgestalt.
Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,
Vom Regen halb gelöscht, der stärker fiel.
Da überschlich mich eine Traurigkeit:
Fast unter meinem Blick verwischten sich
Die Spuren deines letzten Gangs mit mir.
Conrad Ferdinand Meyer
(Spätere Fassung, ~1881)
Träumend schreiten wir auf Waldeswegen,
Aus den gelben Blättern rieselt Regen,
Und den Pfad lass' ich voran Dich gehen,
Den wir Hand in Hand gewandelt haben,
Sehe leichter Stapfen Flucht entstehen,
Zarter Sohlen Bildnis eingegraben ...
Wie Du schweigst! Wie kühl die Lippen zaudern!
Aber Deine feinen Stapfen plaudern;
Deine Stapfen können's nicht verhehlen,
Schwatzen und beteuern und erzählen,
Wie sie Dich in schwülen Sommertagen
Durch den feuchten Waldesgrund getragen,
Wie sie suchten, spähten, lauschend weilten,
Wie sie sehnlich mir entgegeneilten ...
Doch die leidenschaftliche Geschichte
Glaub' ich nicht im bleichen Herbsteslichte,
Flücht'ge Stapfen, die davon geblieben,
Werden bald vergeh'n, verweh'n, verstieben –
Ihr Geplauder lass dich nicht erschrecken!
Müdes Laub wird Deine Stapfen decken ...
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