August Schnezler

Vom Mummelsee im Schwarzwald

5. - Der Knabe vom See

»Was, im Schilf dort ausgesetzt,
Mag der Korb wohl hegen?
Schaut, ein Knäblein unverletzt
Lacht uns draus entgegen!
Schwestern, unter Mutterhut
Wollen wir es legen,
Drunten in der kühlen Flut
Liebevoll sein pflegen.«

Und die Nixen tragen es
Unter stille Wogen,
In dem Schoß des Mummelsee's
Wird es auferzogen;
In der Wiege von Kristall
Auf und ab geschaukelt,
Unter süßem Liederschall
In den Schlaf gegaukelt.

An der weißen Brüste Quell
Darf das Kind sich laben,
Und so reift der Säugling schnell
Zu dem schönsten Knaben;
Blondgelockt das lange Haar,
Milch und Blut die Wangen,
Kommt er in der Nymphen Schar
Keck einhergegangen.

Nun darf er zum erstenmal
Aus den Fluten steigen,
Läßt sich Berg und Wald und Tal
Von den Nixen zeigen;
Schaut entzückt den Mondenstrahl
Hinter Tannenzweigen,
Mit dem Mädchen seiner Wahl
Tanzet er den Reigen.

Und ein ungetrübtes Glück
Wird ihm nun zu Lose,
Oft noch kehret er zurück
Aus der Wogen Schoße;
Über Täler, Berg und Ried
Treibt es ihn zu wallen,
Selig lauschet er dem Lied
Süßer Nachtigallen.

Doch er wandelt nicht allein:
Aus der Nixen Schwarme
Hält das schönste Mägdelein
Kosend er im Arme;
In des Mondes Zauberschein
Kann man Beide sehen,
Unter Minneschmeichelei'n
Aus dem Rohre gehen.

Quelle:
August Schnezler „Gedichte“, 2. Auflage,
Creuzbauer und Kasper Verlag Karlsruhe, 1846


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