Julius Wolff

Die Fahne der Einundsechziger

Vor Dijon war's; – doch eh ich's euch erzähle,
Knüpf einer doch die Binde mir zurecht,
Mich schmerzt der Arm, sie sitzt wohl schlecht;
So!- so!- nun euer Herz sich stähle:
Vor Dijon war's; die Pässe der Vogesen
Bedrohte Garibaldis bunte Schar,
Bourbaki kam von der Loire,
Das hart bedrängte Belfort zu erlösen.

Gefahr war im Verzug; drei bange Tage
Hielt Werder gegen Uebermacht schon stand.
Bei Mömpelgard, und in der Hand (ist Montbéliard)
Des Kriegsgotts schwankte schier die Wage.
Wir Pommern hatten vor Paris gelegen
Und waren schon im Marsch, das zweite Corps
Und auch das siebente ging vor
Von Orleans auf hartgefrornen Wegen.

In Dijon wussten wir den alten Recken
Und griffen ihn, zwei Regimenter, an
Mit seinen fünfzigtausend Mann,
Den Flankenmarsch der Corps zu decken,
Der Alte von Caprera ließ sich blenden,
Hielt die Brigade für die ganze Macht,
Und nachmittags begann die Schlacht
Die, ach, für uns so traurig sollte enden.

Die Einundzwanz'ger auf dem rechten Flügel
Des ersten Treffens hatten schwer Gefecht,
Wir also vor! Und grade recht,
Mit Hurra nahmen sie den Hügel;
Dem Feinde auf der Ferse, ging's verwegen
Bis in die Vorstadt Dijons jetzt hinein,
Hier aber aus der Häuser Reihn
Kam mörderisches Feuer uns entgegen.

Im Steinbruch, mit dem Bajonett genommen,
Da fanden wir, vor eines Ausfalls Wucht
Zum Sammeln durch die steile Schlucht
Gedeckt, notdürftig unterkommen.
Doch die Fabrik dort in der rechten Flanke
Wie eine Festung auf uns Feuer spie,
»Vorwärts, die fünfte Compagnie
Zum Sturm auf die Fabrik, und keiner wanke!«

Der Tambour schlägt, es geht wie zur Parade,
Die Fahne fliegt uns hoch und stolz voran,
Doch klopft das Herz manch treuem Mann
Beim raschen Ritt auf diesem Pfade.
Wie Salven rollt und pfeift es in die Glieder,
Es rast der Schnitter Tod und fällt und mäht,
Und wie er seine Reihen sät,
Da sinkt die Fahne und der Träger nieder.

Aus dem Gedräng' ein Offizier sich rettet,
»Mir nach!« so ruft er und stürmt kühn voraus,
Doch aus dem unglücksel'gen Haus
Grüßt ihn der Tod, der eilig bettet.
Selbst blutend springt der Adjudant vom Pferde,
Erfaßt die Fahne, schwingt sie hoch empor –
Da deckt sein Auge dunkler Flor,
Und sterbend küßt sein bleicher Mund die Erde.

»Was fällt, das fällt! Vorwärts durch Tod und Flammen!«
Zwei brave Musketiere greifen zu,
Der eine stürzt: »Versuch es du!«
Doch auch der andre bricht zusammen.
Nun fällt der Führer auch, wir müssen weichen,
Ein Häuflein war der Rest, vom Feind umringt,
Das schlägt sich durch, und es gelingt,
Den Steinbruch endlich wieder zu erreichen.

Da dachte keiner seiner eignen Wunde,
Wer jetzt noch aufrecht stand in Nacht und Graus,
»Die Fahne fehlt, holt sie heraus!«
So scholl es laut von Mund zu Munde.
Ein Halbzug wird zum Suchen ausgesendet.
Und – kommt nicht wieder, alle blieben tot,
Uns bebt das Herz; allmächt'ger Gott,
Hast du dich zürnend gegen uns gewendet?

»Freiwill'ge vor!« – da blieb nicht einer stehen,
Der noch sein heiß Gewehr in Händen hielt,
Und sechs, die um das Los gespielt,
Sehn in die Nacht hinaus wir gehen. –
Zurück, vom Feind verfolgt, ein einz'ger kehrte,
Der blutete, verhüllte sein Gesicht
Und schwieg – die Fahne bracht er nicht,
Und keiner, keiner seinen Thränen wehrte. –

Am andern Tag, so ließ Ricciotti melden,
Fand man die Fahne fest in starrer Hand,
Zerfetzt, zerschossen, halb verbrannt
Und unter Haufen toter Helden. – –
Wenn wir nun ohne Fahne wiederkommen,
Ihr Brüder allesamt, gebt uns Pardon!
Verloren haben wir sie schon,
Doch keinem Lebenden ward sie genommen.

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