Heinrich Seidel: Neues Glockenspiel

II. ERZÄHLUNGEN


AUS SONNIGEN TAGEN (1869)

Blumen, die einst duftend glühten –
Saiten, die einst voll erklangen
Und die Blumen, sie verblühten –
Und die Saiten, sie zersprangen.

Heimlich ist's im trauten Zimmer
Bei der Lampe sanftem Scheine,
Wenn da draussen Wintersturm tobt.
Horchend auf sein wildes Brausen,
Auf das Heulen im Kamine,
Auf den Regen, der an's Glas schlägt,
Auf sein Rauschen und sein klingend
Tropfen in der Wasserrinne,
Drück' ich tiefer mich behaglich
In den sichern, wohlvertrauten,
Altersbraunen Lehnstuhl. – Träumend
Blaue Wölkchen von mir blasend,
Denk' ich gern dann hellen Frühlings,
Denk' ich gern des lichten Sommers,
Denk' ich gern der längst entschwundnen
Sonnbeglänzten Jugendzeiten.
Wie ein Hauch aus wunderschönen
Unerreichbar fernen Gärten
Wehts mich an, ein märchenhafter
Duft verlornen Paradieses.
Und Erinnrung um Erinnrung
Steigt empor und schwebt vorüber;
Schaut mich an mit sanften blauen
Träumerischen Sehnsuchtsaugen,
Schaut mich an und schwebt vorüber.

***

Sonnenschein und Waldesrauschen –
Und mir ist, als hört' ich jenes
Silbern fröhliche Gelächter,
Das mir einst das Herz bewegte
Sonn'ge Tage – milde leuchtet
Ihr in der Erinnrung Mondlicht.

Waren beide fast noch Kinder:
Du ein schlankes, zierlich leichtes,
Lieblich Mädchen – schelmisch ernsthaft,
Eine frische Blüthenknospe
Sich im Sonnenschein entfaltend –
Ich ein langgewachsner, blasser,
Sonderbarer, stiller Träumer,
Bald voll trotz'gen Uebermuthes,
Bald voll Weichheit, zaghaft schüchtern,
Mir und Anderen ein Räthsel.
Aber wir verstanden uns, wenn
Wir im Wald am Lieblingsplätzchen
Auf dem moosbewachsnen Steine
Zwischen Gras und Blumen sassen,
Und ich Märchen dir erzählte,
Bunte, wunderbare Märchen:
Von den kleinen grauen Zwergen,
Die in Felsenspalten nisten
Und von zierlich leichten Elfen,
Die in Blumenkelchen wohnen. –
Oder, wenn von hohem Berge
Wir in weite Lande schauten,
Ueber Wiesen, Berg und Wälder
Luft'ge Reisepläne spannen –
Damals wähnten hinter jedem
Berg ein wunderschönes Thal wir
Und gar herrlich war die schöne
Welt, die wir nicht kannten. – Damals! –

***

Nimmer gab es schönren Frühling,
Nimmer segensreichren Sommer,
Nimmer süssre Frucht im Herbste,
Nie im Winter trautren Abend,
Als seit jenem schönen Tage,
Da das blondgelockte Bäschen
Eintrat in das stille Pfarrhaus.
Damals freilich warst du traurig
In dem schwarzen Trauerkleidchen,
Traurig um die liebe Mutter,
Die du eben erst verloren –
Jugendschmerz, du Frühlingswolke,
Die – ein Schatten – über's Thal huscht –
Und die Sonne leuchtet wieder!

Und du wurdest unsres stillen
Hauses lichte Frühlingssonne.
Lächelnd klopft' der ernste, strenge
Vater deine rothe Wange,
Kamst du wild dahergesprungen,
Dass die Locken dir im Winde
Flatterten. »Du kleine Hummel!«
Sprach er liebreich. Meine Mutter;
Deine Mutter nun, erfreute
Sich der holden kleinen Tochter.
Ich, der einsam aufgewachsen,
Träume und Gedanken hegend,
Liebte dich wie eine Schwester,
Du Gefährtin meiner Tage.
Ach vermöcht ich dieser schönen
Zeiten Klang und Duft und Farbe
Diesem Liede einzuhauchen:
Wunderbare Klänge würden's,
Sehnsuchtsvolle Sangakkorde
Von den Wonnen meiner Jugend,
Von des Lebens Frühlingsschönheit,
Von dem Duft verklungner Tage.

Eines Tag's muss ich gedenken:
Schöner leuchtet er vor allen,
Wie im Blumenstrauss die Rose,
Wie der Mond scheint zwischen Sternen. –
Sommer war's – ein Sommersonntag –
Rings im glühnden Sonnendufte
Lag die Welt – blassblau verschwommen
Zogen fern die Hügelketten.
Doch im Wald, wo wir selbander
Jenen Felsenweg erstiegen,
Kühl und schattig war's; der Sonne
Lichter flirrten auf den Steinen.
Nebenher, dem Weg entgegen
Kam das Bächlein angesprungen –
Neckisch zwischen moos'gen Trümmern
Sich verkriechend; – schelmisch blitzt es
Dann hervor – in hundert Wellchen
Sprudelt's über unsern Pfad hin,
Plätschert lustig dann zur Seite –
Gurgelnd in den Felsenritzen.
Farrenkraut grüngolden glänzte,
Helle Wassertropfen tragend
Auf dem zierlichen Gefieder,
Und es standen dort im wirren
Feuchtbemoosten Steingetrümmer
Rothe Himbeer'n süss und duftig. –
Sassen dort und pflückten scherzend;
Und ich war beim raschen Pflücken
Froh der lieblichen Berührung
Deiner Hände, wenn im Haschen
Nach den schönsten Früchten Beide
Wir nach einer Beere griffen –
Und du drohtest dann so schelmisch
Lächelnd mir mit deinem Finger. –

Weiter stiegen wir zum Gipfel,
Weiter zu dem Lieblingsplätzchen,
Zu der Lichtung auf der Höhe,
Wo man tief hinab ins stille
Wipfelmeer des Waldthals schaute.
War es doch zum letzten Male,
Und für mich ein Gang zum Abschied;
Denn hinaus in's Leben sollt' ich,
Dort den alten Kampf zu kämpfen.
Und wir sassen nun im Schatten,
Niederschauend auf das Waldthal
Und auf jene fernen dunklen
Waldeshöhen, die in mattem
Blauem Dämmerdufte lagen.
Alles still – kein Blatt im Walde
Regt sich – nur ein fernes Hallen
Schallt zuweilen durch das Waldthal,
Und in uns'rer Füsse Spuren
Leise knisternd steht das Gras auf.
Schwüle schwebt mit schweren Schwingen
Ueber Berg und Thal, wie jene
Weihe, die in weiten Kreisen
Unter weissen Wolken hinschwimmt
Und zuweilen aus der Höhe
Beutegierig schrillend aufschreit.
Beide waren wir verstummet,
Gleich, als drückt' auch uns die Schwüle.
Deinen zarten Fingern folgt' ich,
Wie du zierlich bunte Blumen
Zu des Kranzes Ründung bandest,
Wie du dann in deine Locken
Jenen Blumenreif gewunden.
Schmetterlinge, schmeichlerische
Blumengaukler, schwebten lautlos
Ueber dir und um dich; einer
Senkte sich auf deines Kleides
Spitzenrand, der sich bei'm Athmen
Leise hob und senkte – wähnen
Mocht' er wohl, auf einer Blume
Säss' er – faltet seine Flügel,
Breitet, plättet sie behaglich. –
Wie ein Märchen überkommt's mich!
Sassest du nicht dort im lichten
Kleid wie eine Fee des Waldes?
Müsste jetzo nicht das weisse
Rehlein mit der gold'nen Krone
Aus dem Walde zierlich treten
Und zu seiner Königin hinknien?
Müsste nicht die wilde Weihe
Hast'gen Flug's sich niedersenken,
Friedlich ihren Kopf zu legen
In den Schooss dir, ihrer Herrin?
Müssten nicht der kleinen Vögel
Bunte Schaaren dich umfiattern,
Singen, wie du winkest, oder
Schweigen, deinem Wink gehorsam? –
Doch du lachtest mir in's Antlitz:
»Ei was siehst du so verwundert,
Schaust mich an mit grossen Augen? –
Aber horch! – es donnert! – Hörst du?« –
Und es klang wie ein Gemurmel
Ferner dumpfer Riesenstimmen
In den Bergen leise grollend.
Langsam stieg das schwere, dunkle,
Drohende Gewölk am Himmel,
Und zuweilen – wie ein Athmen
Aus beklommner Brust – ein Windhauch
Wogte durch die Waldesmassen.
Ferne waren wir der Wohnung;
Doch im Wald am Felsenvorsprung,
Wo man in das enge Thal schaut,
Drin das Dörfchen friedlich ruhet,
Bot ein grauer, trümmerhafter,
Alter Wartthurm uns ein Obdach.
Dorthin eilten wir geschwinde
Zwischen mächt'gem Felsgetrümmer,
Unter dunklen, riesenhaften,
Alten Fichten, die des Berges
Scheitel kränzen. Mächt'ge Stämme
Hatte einst der Sturm entwurzelt;
Diese hatten niederkrachend
Schwächre mit sich umgerissen;
Lagen dort und streckten mächt'gen
Krallen gleich die Wurzeln aufwärts.
Manche trugen fest umklammert
Felsenblöcke, wie im Krampfe
Angepackt um nicht zu stürzen,
Durch der Stämme wildes Wirrsal,
Durch das rauhe Felsgeklüfte
Eilten wir. Ich führend, stützend,
Half dir hier den Fels erklimmen,
Fing dich hier mit meinen Armen
Horch! da geht ein mächtig Rauschen
Weitersausend durch die Zweige,
Und gewaltig rollt der Donner
Wiederhallend in den Gründen.
Doch es leuchtet schon der Himmel
Durch der grauen Stämme Ragen,
Und als schwer die ersten Tropfen
Einzeln aus den dunklen Wolken
Niederfielen, waren dort wir,
Wo der Felsenthurm emporragt,
Aus der hohen Fensteröffnung
War ein Strauch hervorgewachsen;
Den erfassend stiegen beide
Wir empor, denn ganz verschüttet
Und verwachsen war der Eingang.
Sassen dann im Fensterbogen,
Schauten freudig athmend nieder
Auf das Thal zu unsren Füssen,
Auf das freundlich stille Dörfchen,
Das im Regenschleier dalag.
Mächtig brauste nun der Sturmwind,
Niederprasselte der Regen,
Zuckt der Feuerblick des Blitzes,
Und des Donners urgewalt'ge
Riesenstimme rollte dröhnend,
Krachend, über unser Haupt bin.
Doch wir sassen friedlich sicher,
Und du schautest mir in's Auge
Still und ruhig, da ich fragte:
»Hast du Furcht auch?« Warst nicht furchtsam.
Aber näher rückt der Wolken
Feuerkampf, und Blitz auf Blitzen
Fährt im Zickzack hin und wieder.
Scharfes Krachen – dumpfes Rollen!
Blitz und Schlag in kurzem Zeitraum!
Doch du sahest still, die Hände
Friedlich auf dem Schooss gefaltet,
In den grausen Kampf der Wolken.
Da – wie eine blendend helle
Weisse Feuerkugel – plötzlich –
Blitz und Krach – in einen mächt'gen
Alten Fichtenbaum am Abhang –
Stürzt es schmetternd vor uns nieder!
Bebend zucktest du zusammen,
Drängtest dich an meine Seite,
Dass ich schnell den Arm um deine
Schlanke zitternde, Gestalt schlang,
Dass dein Köpfchen still an meine
Brust sank, dass die blonden Locken
Ueber meine Schultern fielen. –

Doch die Wuth der Elemente
Schien erschöpft nun. Schwächre Schläge
Hallten wieder in den Gründen,
Bis es endlich fast verstummte,
Und es klang wie ein Gemurmel
Ferner dumpfer Riesenstimmen
In den Bergen leise grollend.
Leiser strömte nun der Regen,
Heller wurde es im Westen
Vor uns, bis die gold'ne Sonne
Siegreich vortrat aus den Wolken,
Durch den Regen, der vertropfte,
Sendend ihre Friedensstrahlen.
Und du hobst den Kopf, der immer
Noch an meinem Busen ruhte,
Schautest freundlich mir in's Auge,
Dass mein Herz vor Liebe bebte.
Und ich beugte mich hernieder
Leise küssend deine Lippen.
Doch du schautest fast verwundert,
Sprachst kein Wort und wurdest roth nur,

Löstest dich aus meinen Armen,
Rücktest weiter, schautest sinnend
Stille in das Thal hernieder.
Und ich wagte nicht zu sprechen,
Wagte nicht dich anzurühren –
Schüchtern ist die junge Liebe.

Alles war nun still geworden.
Nur zuweilen von den Zweigen
Tropft es langsam, und im Thale
Rauscht der Bach, vom starken Regen
Angeschwollen, durch die Stille.
Schweigend stiegen wir hernieder,
Waren viel zu voll die Herzen.
Doch der Weg war nun ein Bette
Brausend stürzender Gewässer,
Und wir mussten an dem Abhang
Niederklettern in den Thalgrund.
Und mit sel'gem Beben fühlt' ich
Jenen sanften Druck der Hände,
Wenn von Felsen ich zu Felsen
Dich beim Abwärtssteigen stützte.
Schweigend stiegen wir hernieder,
Waren viel zu voll die Herzen.

***

Scheiden, deine grimmen Qualen
Gab der andre Tag zu kosten.
Leeren musst' ich jenen schmerzlich
Bittren Becher bjs zum Grunde.
Meines Vaters stumm verhaltner
Gram, der lieben Mutter Thränen –
Ach es war der erste herbe
Grosse Schmerz der jungen Seele.
Thränen sah ich auch in deinen
Schönen Augen, und als Beide
Wir einmal allein im Zimmer,
Standest du mit einmal vor mir,
Botest mit geschlossnen Augen
Flüchtig mir den Mund zum Kusse,
Eiltest schnell dann aus dem Zimmer,
Dich verbergend bis zur Abfahrt.
Und hinaus in's bunte Leben
Rollt' ich – Abschied war's für immer. –

***

Niemals sah ich je dich wieder,
Niemals lachte mir dein Auge,
Niemals hört' ich deine sanfte
Liebevolle Stimme wieder.
Ferne war ich lange Jahre,-
Dein gedenkend voller Liebe –
Dein gedenkend voller Sehnsucht.
Doch du warst ein fröhlich junges
Kind von leichtbewegtem Herzen,
Und es war wohl nimmer Liebe,
Da du mich so bald vergessen,
Jenem Manne zu gehören,
Der um deine Hand geworben,
Der mit dir ist fortgezogen.

***

Heimlich ist's im trauten Zimmer
Bei der Lampe sanftem Scheine,
Wenn da draussen Wintersturm tobt.
Horchend – auf sein wildes Brausen,
Auf das Heulen im Kamine,
Auf den Regen, der an's Glas schlägt,
Auf sein Rauschen und sein klingend
Tropfen in der Wasserrinne,
Drück ich tiefer mich behaglich
In den sichren, wohlvertrauten,
Altersbraunen Lehnstuhl. – Träumend
Blaue Wölkchen von mir blasend,
Denk' ich gern dann hellen Frühlings,
Denk' ich gern des lichten Sommers,
Denk' ich gern der längst entschwundnen
Sonnbeglänzten Jugendzeiten.
Wie ein Hauch aus wunderschönen
Unerreichbar fernen Gärten
Weht's mich an – ein märchenhafter
Duft verlornen Paradieses.

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