Ferdinand Avenarius

Vom Kirschbaum

Ist alles ganz kahl und still,
Nicht mal im Grase sichs regen will,
Steht alles geduckt,
Klappert im Frost und muckt
Mit dem Winter. Der putzt es mit Rauhreif auf,
Aber keines gibt was drauf.

Doch im Garten
Sagt einer: Ich kann warten.
Ist jemand, du kennst ihn wieder kaum,
So dünn ist er worden: der Kirschenbaum.
Schläft er nicht?
Trau einer dem Wicht!
Heute mittag um Uhre eins
Gabs mal ein Pröbchen Sonnenscheins:
Darin – ich habe
Das deutlich gesehn –
Mit seinen Knospen
Fingerte der alte Knabe,
Ein wenig vorsichtig und geziert,
Wie man Badewasser probiert.
Und über seine Runzeln
Ging ein Schmunzeln.

Quelle:
„Vom Reichtum der deutschen Seele – Ein Hausbuch deutscher Lyrik“
hrsg. v. Georg Virnsberg, verlegt bei Dollheimer, Leipzig, 1928

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