Matthias Claudius

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
 Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
 Der weisse Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
 So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
 Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen? –
Er ist nur halb zu sehen
 Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
 Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
 Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
 Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
 Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
 Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
 Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
 Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
 Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
 Und unsern kranken Nachbar auch!

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