Friedrich Lienhard

Das Kinderland

9. Besuch der verklärten Mütter

Sie purzeln in lustigem Knäuelchen alle
Die halmigen Hügel hinunter und lachen im Falle,
Sie tasten, sie greifen in Locken und Ohr –
Farbig Gewimmel – und zappeln empor.

Löst sich das jauchzende Bündel auf:
Wie Strahlen schießt das in lachendem Lauf
Nach allen Seiten dahin! ...

Zweie verziehn.
Hilft einer dem andern, dem Dickchen, dem Runden,
Hat nicht so flink seine Beinchen gefunden,
Hilft ihm und streicht ihm sein Kleidchen,
Tröstet sein winziges Leidchen:
"Tut nichts, Brüderlein! Werde dir helfen!«
Und, Finger in Finger, wie schwirrende Elfen
Mit Flügelklang geht es durch silberne Luft! ...

Ein Träumerchen setzt sich in Blumenduft
Und ist von horchenden Kelchen umnickt:
Bewegt das Händchen, streng und genau,
Dringlich belehrend und Finger hebend,
Sich selbst feinstimmige Antwort gebend,
Blumen beklopfend mit weicher Hand
Und zart belobend so viel Verstand.

Zwei schaukeln am blütenumsternten Ast,
Lagern zwei andre darunter:
In ihre strampelnd-behagliche Rast
Schüttelt der knarrende gute Baum
Spendeselig und schelmenmunter
Flocken von rosigem Blütenschaum.
Die Händchen breiten die Zweie dem Fall –
Scherzende Flocken allüberall!

Am dämmrigen Abend (nie wird es Nacht,
Bleibt auch bei Nacht ein Rosenschein!)
Werden sie stiller und warten sacht
Oft trüppchenweis und oft allein.

Und bald – wie flattert's zu Häufchen und Haufen!
Ist über die Au ein Kücken-Laufen!
Große Frauen kommen gegangen,
Mit Sonnenaugen und Mondscheinwangen:
Die Mütter kommen! Durchs Lüftemeer
Auf Wogen der Sehnsucht wie Schwäne kommen sie her!

O Wiedersehen!
»Ei und was hast du da« –
»Ach und so sieh doch nur« –
»Ja und dann denk' doch« –
»Und da – und jener – und hier noch« –
»Mütterchen, Mütterchen!«
»Mein Kind, du mein herziges du!«
Ein Hüpfen und Heben und Herzen – immer so zu!
Hochragende Säulen, umrankt und umlacht
Von rosiger Engelchen Blütenpracht!
So schreiten sie, lehren sie, tragen sie fest –
Bis die, dann die ihr Bündelchen läßt,
Sie schonend absetzt, küßt und spricht:
»Nun, du mein Liebling, weine nicht!
Morgen schon komm' ich ja wieder zu dir,
Und über ein kleines kommst du zu mir!«

Sie steigen und schweben, sie winken noch viel:
Es ist wie blauer Blitze Spiel.
Es bleibt der Schein von ihrem Lichtgewand
Die ganze Nacht im Kinderland ...


weiter zu 10 – Abschied

Seitenanfang / top

Tweet


amazon  Trauer- und Todesgedichte -
Kindergedichte - Grundschulgedichte -
Gedichtinterpretationen - Gedichtanalysen
audible-Hörbücher KOSTENLOS testen


Impressum - Datenschutz